Sonntag, 29. April 2012

Brief an einen "Liberalen-Hasser"

Es liegt mir nicht daran, zu betonen, dass ich ein Neoliberaler bin. Vielleicht bin ich das gar nicht. Ich habe grundsätzlich ein Problem damit, Menschen in Modelle und/oder Schablonen einzuordnen, weil Menschen doch etwas vielschichtiger sind, als Modelle und/oder Schablonen das zulassen.

In einem völlig anderen Zustammenhang stieß ich kürzlich auf einen Debattenteilnehmer, dem der Schaum fühlbar um den Mund stieg, wenn ich liberale und/oder neoliberale Ideen zur Sprache brachte. Sein Vorwurf was, dass "Liberale es in ihrer Freiheitsliebe nicht gewohnt sind, Dinge zu Ende zu denken". Deswegen machte ich den unten zitierten Versuch, die Dinge etwas weiter durchzudenken (wenngleich auch nicht völlig zu Ende). Es ist mein Brief an einen Liberalen-Hasser.




Hiermit darf ich auf Ihre Breitseite gegen „Liberale“ eingehen. Manchmal kommt mir in Zeiten, wo so viele Ausdrücke mit "…mus" enden, vor, dass weniger Informierte den Neoliberalismus als eine Steigerung des Liberalismus betrachten. Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich erst einmal klarstellen, was ich unter „neoliberal“ verstehe. Es ist natürlich unmöglich, komplexe Dinge in wenigen Zeilen darzustellen, aber folgende Definition hat mir bisher noch am besten gefallen:

Zitat Anfang (aus dem Blog ortneronline)
Entgegen einer weit verbreiteten Annahme bedeutet “neoliberal” nicht völlig unregulierten Turbo-Kapitalismus ohne wenn und aber. Ganz im Gegenteil:

“In den 1930er und 1940er Jahren, die von Staatsinterventionismus, Protektionismus, zentraler Wirtschaftslenkung und Totalitarismus geprägt waren, gab es eine Rückbesinnung auf die Ideen des Liberalismus. Aus Sicht der Neoliberalen hatte man mit der Politik des Laissez-faire im 19. Jahrhundert, als der Staat die Wirtschaft weitgehend dem freien Spiel der Marktkräfte überließ, negative Erfahrungen gemacht und sah eine Notwendigkeit zur Neuformulierung. Neoliberale Vordenker sahen die Gefahr, dass ein ungeregelter Markt dazu tendieren kann, durch die Bildung von Monopolen den Wettbewerb aufzuheben, und dadurch seine eigene Grundlage zu zerstören. Markt ist nach Auffassung des Neoliberalismus daher nicht naturwüchsig, sondern muss durch den Staat gewährleistet werden. Im September 1932 umriss Alexander Rüstow auf einer Tagung des Vereins für Socialpolitik das neue liberale Credo: „Der neue Liberalismus jedenfalls, der heute vertretbar ist, und den ich mit meinen Freunden vertrete, fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da, wo er hingehört“.

Zur Gewährleistung des effizienten Einsatzes des Produktivkapitals gehört neben dem Recht auf Privateigentum auch die Haftung. Die Eigentümer von Produktivkapital sollen sich nicht nur die Gewinne aneignen, sondern auch die volle Haftung für getroffene Fehlentscheidungen tragen.

Als das wohl bedeutendste Beispiel neoliberaler Politik gilt die Politik in der Bundesrepublik Deutschland unter Ludwig Erhard (1949–1963 Bundeswirtschaftsminister, 1963–1966 Bundeskanzler). Erhard und sein Staatssekretär Alfred Müller-Armack, der den Ausdruck „Soziale Marktwirtschaft“ prägte, waren beide Wirtschaftswissenschaftler und hatten regelmäßigen Kontakt zu den führenden Vertretern des Neoliberalismus wie Rüstow, Röpke, Eucken, Böhm und Hayek. ” (Quelle:Wikipedia; inhaltlich vom Autor überprüft).
Zitat Ende

Ich muss immer wieder staunen, wie weit die Menschen des deutschsprachigen Kulturkreises sich heutzutage von den Wurzeln ihres Kulturkreises, ja, ich möchte fast sagen, von den Wurzeln des abendländischen, judeo-christlichen Kulturkreises lossagen möchten. Ich habe es kürzlich faszinierend gefunden, wie man anlässlich der Wahl des neuen deutschen Bundespräsidenten das Thema „Freiheit“, noch dazu Freiheit als möglicherweise größtes Gut, heftigst diskutiert hat.

Seit meiner Pensionierung lese ich wieder sehr viel Geschichte. Sehr viel vergesse ich dank meiner gealterten Gehirnzellen gleich wieder, aber Grundthemen bleiben erhalten. Es ist erstaunlich, was die Menschen seit der Urzeit bereit waren, zu geben und zu opfern, um die Freiheit erreichen. Die Freiheit der Vielen vor der Willkür der Wenigen. Die Debatten, die ich in deutschsprachigen Medien im Zusammenhang mit Gauck verfolgen konnte, waren schon sehr aufschlussreich. Frei nach dem Motto „Natürlich ist Freiheit wichtig, aber…“ Warren Buffett hat eine schöne Antwort auf solche Aussagen, nämlich: „Lassen Sie uns diese Diskussion auf den Friedhöfen von Omaha Beach fortsetzen!“

„Nur der verdient die Freiheit wie das Leben, der täglich sie erkämpfen muss!“ – dieser Satz stammt doch nicht von einem losgelassenen Wilden von der Wall Street! Natürlich setzt Freiheit viele andere Werte voraus wie z. B. die Solidarität des Einzelnen mit der Gesellschaft, Charakter und Integrität des Einzelnen, etc. Natürlich gilt der Satz „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“ Auch dieser Satz kommt nicht von einem schwebenden Guru in Indien. Beide Sätze stammen aus unserem eigenen Kulturkreis. Und wer sich verletzt fühlt von der Aussage „Den unnützen Knecht werfet hinaus in die Finsternis; dort wird sein Heulen und Zähneklappern“, der sollte nicht auf brutale Kapitalisten schimpfen, sondern sich mit den Neuen Testament auseinandersetzen.

Ich sage das nur, weil heutzutage oft die Meinung verbreitet wird, als käme alles Schlechte von den amerikanischen Neoliberalen à la Milton Friedman, etc. Woran ein sehr großer Teil der Welt (außerhalb Europas) heute glaubt (und was wir so gerne kritisieren), kommt zu einem erheblichen Teil aus unserem eigenen Kulturkreis. Denken Sie an Kant, Popper, Hayek, Schumpeter, etc. etc. Und unsere eigenen Philosophen haben sich an Plato, Sokrates, etc. orientiert. Trotz allem will unsere heutige Gesellschaft so tun, als gäbe es diese kulturellen Werte nicht? Dann entfernen sich die modernen Deutschen von ihren Wurzeln genauso wie sich die modernen Griechen von den Werten ihrer antiken Vorfahren entfernt haben.

Während meines Studiums las ich Dahrendorfs Buch über die „Gesellschaft und Demokratie in Deutschland“. Es war ein Augenöffner für mich! Ich fragte mich, warum ich in Amerika studieren musste, um ein solches Buch zu lesen. Bei den meisten Österreichern ist dieses Buch genauso unbekannt wie die Werke von Popper, Hayek, Schumpeter, von Mises, etc. (obwohl alle Österreicher waren).

Wenn Sie heute einen Amerikaner fragen – meinetwegen einen ungebildeten, der erst vor wenigen Jahren eingewandert ist -, warum er stolz ist, in Amerika zu leben, dann wird er Ihnen wie aus der Pistole geschossen 2 oder 3 Gründe nennen. „Freiheit“ ist mit Sicherheit einer dieser Gründe. Fragen Sie heute einen gebildeten Deutschen, warum er stolz ist, ein Deutscher zu sein und er wird möglicherweise erst einmal nachdenken, ob man in Zeiten wie diesen überhaupt noch stolz auf sein Land sein sollte.

Jetzt werde ich Ihnen etwas sagen, was Sie wahrscheinlich sehr überraschen wird. Ich habe mir kürzlich in der Mediathek des Bundestags die Debatten über das Rettungspaket angehört. Wer glauben Sie, hat mich am meisten beeindruckt? Gregor Gysi, und zwar um Längen! Die Befürworter – von Merkel abwärts – haben Teile eines Ganzen blind nachgebetet ohne das Ganze zu verstehen (oder es verstehen zu wollen). Ich würde auch vielem von dem, was Frau Wagenknecht in TV-Diskussionen zu den Herausforderungen unseres Wirtschaftssystems sagt, zustimmen. Es steht doch völlig außer Frage, dass Banken primär der Wirtschaft und dass die Wirtschaft primär der Gesellschaft dienen sollte. Es wird aber keine sehr gut funktionierende Gesellschaft geben, hinter der nicht auch eine gut funktionierende Wirtschaft steht und es wird ohne gut funktionierende Banken auch keine gut funktionierende Wirtschaft geben.

Es ist doch romantisch naiv, wenn man denkt, dass die Wirtschaft etwas „da oben“ ist, mit dem man nichts zu tun haben möchte. Jeder von uns ist ein Teil der Wirtschaft (der Volkswirtschaft, möchte ich sagen). In dem Moment, in dem wir uns eine Semmel beim Bäcker kaufen, haben wir einen wirtschaftlichen Prozess in Gang gesetzt. Wir haben die Semmel beim Bäcker A und nicht beim Bäcker B gekauft. Vielleicht weil Bäcker A freundlich ist und Bäcker B nicht. Damit tragen wir möglicherweise dazu bei, dass Bäcker A sehr erfolgreich und Bäcker B bald arbeitslos sein wird. Dann müssen wir uns als „economic agents“, d. h. als Mitglieder der Gesellschaft, Gedanken machen, ob wir Bäcker B Arbeitslosengeld zahlen wollen oder ob wir ihm empfehlen wollen, freundlicher zu werden. Etc. etc.

Es ist bei den Lösungsansätzen, wo ich mich von Gysi, Wagenknecht, etc. unterscheide. Die Verstaatlichung der Banken kann keine Lösung sein. Sorry, könnte schon sein, aber dann müsste der Staat ein weiser und gerechter sein im Sinne von Plato, ein „starker Staat, ein Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da, wo er hingehört“. Wir haben jedoch – wie in der Demokratie nicht anders möglich – Parteien und sonstige Interessensvertretungen. „Ohne die Partei wäre ich nichts“ hat einmal ein österreichischer Bundeskanzler ganz herzlich ehrlich zugegeben. Sie werden mir kein verstaatlichtes Unternehmen zeigen können, wo nicht früher oder später Parteieninteressen durchschlagen werden. Sie können mir keine Partei nennen, die nicht letztendlich Wähler gewinnen möchte. Sie können mir keinen Politiker nennen, der nicht wiedergewählt werden möchte. Ich glaube nicht, dass Sie mir einen Politiker und/oder eine Partei nennen können, der/die in der Tat nur die Interessen des ganzen Landes vertritt.

So ist halt einmal die Demokratie; anders geht es nicht. Und deswegen braucht man in einer Demokratie Menschen, die die Parteien (und somit den Staat) davor einschränken, sich die Gesellschaft zum Eigentum zu machen (u. a. auch die "Hirne der Bürger"). Anders ausgedrückt, Menschen, die sich darauf konzentrieren, die Freiheit des Einzelnen vor der Willkür von Anderen zu schützen. Oder noch anders ausgedrückt: die Freiheit der Vielen vor der Willkür der Wenigen.



Soweit mein Brief. Die Antwort des Liberalen-Hassers war, dass dies ein Beispiel mehr dafür sei, dass Liberale in ihrer Freiheitsliebe Dinge nicht zu Ende denken wollen.

10 Kommentare:

  1. Wie auch andere Woerter(z.B. 'sozialismus'), wird 'Liberaler' in der Praxis nur mit Beispiele definiert. Also gibt as 'Liberaler wie Thacher, Regan, oder auch Krugman ) und 'sozialisten' wie Chavez oder auch Hollande.
    Ohne Beispiele bedeuten solche Woerter gar nichts.

    AntwortenLöschen
  2. Debitistischer Saldenmechaniker7. Juni 2013 um 20:38

    Ich habe jetzt die Debatte vom April 2012 mit G. Trappe auf Stefan L. Eichners Blog (größtenteils) gelesen.

    In dieser Debatte ging es auch um die Geldschöpfung bei Banken. Diese Debatte hat mir ein weiteres Mal gezeigt, wie dogmatisch unser Finanzsystem verstanden wird - selbst von Bankern mit jahrzehntelanger Praxis.

    G. Trappe hatte in dieser Debatte mit seiner Argumentation die Nase vorn, denn die Geldschöpfung ist eine simple Bilanzverlängerung bei Geschäftsbanken. Ich mag dabei den Zusatz "aus dem Nichts" nicht, weil 1) die Bank in der Kreditkette nur ein Intermediär ist, 2) dem Kredit in unmittelbarer Folge ein reales Geschäft zugrunde liegt (Kauf eines Wirtschaftsgutes auf Kredit) und 3) die Bank überwiegend Pfandbesicherung verlangt und sich i. d. R. nur in geringem Umfang auf unbesicherte Kreditgeschäfte einläßt.

    Die für Barauszahlungen bzw. Überweisungen zu Fremdbanken erforderliche Zentralbankliquidität entsteht im wesentlichen durch Pensionsgeschäfte, also "Rediskontierung" zentralbankfähiger Kreditforderungen. Die Zentralbank ist dabei ebenfalls nur ein die Kreditkette verlängernder Intermediär.

    Mir ist bewußt, daß dieses Systemverständnis meistens heftigst bestritten wird. Der Grund dafür scheint mir zu sein, daß vereinfacht gesagt das Geldverständnis bei den allermeisten noch in Gold- und Silbermünzen wurzelt: Goldmünzen kann man physisch zur Bank tragen, dort einlegen, und die Bank verleiht die Goldmünzen weiter. So läuft es aber schon lange nicht mehr. Was wir heute haben, sind reine Kreditbeziehungen bzw. Kreditketten, die durch Pfandrechte und Eigenkapital von Geschäftsbanken und Zentralbanken begrenzt abgesichert sind.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich glaube, in meinem Diskurs ist nicht deutlich genug zum Ausdruck gekommen, dass es um 2 unterschiedliche Begriffe ging: einerseits 'Geld' (Trappe) und andererseits 'Liquidität' (Kastner). Eine Bank kann in mancher Hinsicht, aber nicht unbegrenzt, 'Geld' schöpfen. Sie kann beispielsweise einen Kredit an einen Kunden auszahlen und hat damit gleichzeitig Aktiva/Passiva erhöht (Kredite/Einlagen). Auf Macro-Ebene im Bankensystem ist das eine Geldschöpfung. Sie bringt jedoch der Bank null Liquidität.

      Eine Bank kann Liquidität schöpfen, indem sie unter Hinterlegung qualifizierter Assets (erstklassige Wertpapiere) bei der Notenbank einen Kredit aufnimmt. Das ist aber ein sehr begrenzter Vorgang. Detto für Re-po's.

      Trappe bewegt sich ausschließlich auf dem Boden der Theorie. Doch grau ist jede Theorie, egal wir korrekt, wenn einer Bank die Liquidität ausgeht. Lehman USA hatte am Tag vor der Pleite eine sehr gute Bilanz auszuweisen. Rein theoretisch war Lehman aus dieser Sicht kein Pleitefall. Lehman war jedoch die Liquidität ausgegangen und es konnte selbst keine Liquidität schöpfen.

      Falls sie die Praxis genauso interessiert wie offenbar die Theorie, dann empfehle ich das Buch "The Bankers' New Clothes". Wahrscheinlich das beste Buch, das ich je über Banken gelesen habe. In Laiensprache verfasst, aber trotzdem fachlich absolut überzeugend! Selbst Ewald Nowotny von der OeNB hat mir bestätigt, dass das eines der besten Bücher war, die er in letzter Zeit gelesen hat. Wenn also ein Notenbanker so etwas sagt, dann ist das vielleicht ein Grund mehr, dass auch ein Geldtheoretiker das Buch liest.

      Löschen
    2. Debitistischer Saldenmechaniker8. Juni 2013 um 02:59

      Der springende Punkt ist, daß Liquiditätsschöpfung ein nachgelagerter Prozeß ist (Rediskontierung). Zuerst muß mal ein notenbankfähiges Schuldpapier da sein. Und das wird zuerst von der Geschäftsbank angekauft (Bilanzverlängerung bei der Geschäftsbank).

      Natürlich haben Sie recht, daß eine Geschäftsbank stets darauf achten muß, liquide zu bleiben (so wie jeder Wirtschaftsteilnehmer). Darum geht's ja auch nicht, das ist unbestritten.

      Ein Wirtschaftsteilnehmer wird i. d. R. illiquid, wenn er seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr "rollen" kann, also vom Markt als nicht mehr kreditwürdig betrachtet wird. Da hilft ihnen die beste testierte Bilanz nichts, wenn ihnen niemand mehr glaubt. Und das hat fast immer den Grund, daß ihre Bilanz faul ist, sie also vom Markt als überschuldet eingeschätzt werden.

      Ihr Verweis auf Ewald Nowotny hat mich erheitert. Herr Nowotny hat z. B. schriftlich im Internet gezeigt, welche Verständnisprobleme er hat:

      http://www.direktzu.at/oenb/messages/28555

      http://www.direktzu.at/oenb/messages/zur-antwort-von-nowotny-an-kehlmann-vom-22112010-29525

      Zitatbeispiele:
      ~~~~~~~~~~~~~~~~
      Damit Banken Kredite vergeben und Buch- bzw. Giralgeld schöpfen können, müssen sie auf der Passivseite ihrer Bilanz natürlich auch über entsprechende Mittel verfügen.

      Damit die Kreditvergabe aber überhaupt stattfinden kann, ist vorweg(!) eine entsprechende Mittelaufbringung durch die Bank notwendig.
      ~~~~~~~~~~~~~~~
      (Nowotny)

      Wie gesagt, wir werden uns beim Systemverständnis nicht finden. Sie werden mich und z. B. einen G. Trappe vermutlich als esoterischen Spinner einordnen, der von der Praxis keine Ahnung hat. Kein Problem für mich - we agree to disagree.

      Freundliche Grüße und vielen Dank für Ihre wirklich sehr lesenswerten Texte!

      Löschen
    3. Nein, nicht als esoterischen Spinner, sondern als Theoretiker (mit richtigen Theorien), aber mit einer Weigerung, die Praxis zu akzeptieren.

      Mein Diskurs mit Trappe endete, als ich mit ein paar einfachen T-Konten Bankentransaktionen dargestellt hatte. Auf dieser niedrigen Ebene wollte er mit mir nicht weiter diskutieren. Vielleicht finde ich den Diskurs noch.

      Sie und ich könnten ohne irgendwelches eigenes Geld eine Bank mit 100 MEUR Eigenkapital aufmachen. Wir würden in den Satzungen festlegen, dass das Eigenkapital innerhalb von 90 Tagen nach Eintragung ins Firmenbuch einbezahlt wird. Bis zur Einzahlung des EK hat die Bank eine Bilanzsumme von 100 MEUR und Aktiva von 100 MEUR (Forderungen an Gesellschafter für Eigenkapital).

      Als erste Transaktion gewähren wir uns einen Kredit über 100 MEUR und zahlen diesen als EK ein. Genau zwei Buchungstransaktionen. Danach hat die Bank wieder eine Bilanzsumme von 100 MEUR: Aktiva von 100 MEUR (Kredit an uns) und EK von 100 MEUR. Eine hervorragend kapitalisierte Bank mit einer EK-Quote von 100%. Leider (für uns) ist das gemäß BWG nicht möglich...

      Jetzt könnten wir diese Bank auf einer Insel aufmachen, wo es noch keine Bank, keine Notenbank und keine Bankengesetze gibt. Alle Bankkonten der Bürger und Unternehmen müssten demzufolge bei uns geführt werden. Unsere Kredite und Einlagen wären immer 1:1, aber wir könnten in der Tat Geld schöpfen.

      Schwierig wird es, sobald eine zweite Bank aufmacht. Dann könnte nämlich ein Kunde bei uns einen Kredit aufnehmen, das Geld jedoch bei der anderen Bank haben wollen. Dann müssen wir uns von der anderen Bank einen interbank Kredit holen, damit unsere Bücher balanzieren. Sollte die andere Bank uns diesen Kredit verweigern, dann können wir zusperren.

      Liquiditätsschöpfung ist nur in Ausnahmefällen ein nachgelagerter Prozess. Wie Sie sagen, es muss bereits ein notenbankfähiges Papier vorhanden sein.

      I.d.R. kommt die Liquiditätsschöpfung als Erstes. Sie kommt zunächst einmal als Eigenkapital, dann in weiterer Folge als Einlagen von dritter Seite. Die Kreditgewährung und die damit verbundene Einlagensteigerung kommt meistens erst später (glauben Sie bitte jemandem, der vor 32 Jahren in Chile eine Universalbank von Stunde Null aufgebaut hat). Später kommt es zu Liquiditätsaufkommen via interbank Kredite und in weiterer Folge möglicherweise durch Eigene Emissionen.

      Sie sagen, es geht nicht um die Liquidität? Es geht immer fast ausschließlich um die Liquidität! Es wird kaum eine Pleitebank geben, die nicht am Tag vor ihrer Pleite eine ordentliche Bilanz ausweisen konnte! Sie stellen die Liquidität so dar, als wäre sie etwas Nebensächliches ("natürlich muss eine Bank darauf achten, liquide zu sein/bleiben"). Nota bene: die Liquidität ist das Um und Auf einer Bank!

      Nur eine Notenbank kann Geld/Liquidität aus dem Nichts schöpfen. Sie tut das i.d.R. dadurch, dass sie den Banken höhere Kredite gewährt oder WP ankauft. Das Geld/die Liquidität, welche die Notenbank schöpft, landet im interbank Markt und aus dem interbank Markt wird heutzutage ein sehr großer Teil der Kredite bei Großbanken finanziert.

      Löschen
    4. Debitistischer Saldenmechaniker8. Juni 2013 um 13:28

      "Als erste Transaktion gewähren wir uns einen Kredit über 100 MEUR und zahlen diesen als EK ein...Danach hat die Bank wieder eine Bilanzsumme von 100 MEUR: Aktiva von 100 MEUR (Kredit an uns) und EK von 100 MEUR."

      Ich verstehe gut, warum Herr Trappe auf dieser (Münchhausen-) Ebene nicht mehr diskutieren wollte. Ihre Bankbilanz ist am Ende die gleiche wie am Anfang, die Gesellschafter haben nix einbezahlt, sondern schulden das EK nach wie vor.

      In der Stunde Null des Systems (Systemstart) gibt es kein Geld (eigener Währungsraum), EK kann zu diesem Zeitpunkt entweder in Sachform wie z. B. Immobilien oder Gold eingebracht werden oder z. B. in Fremdwährung.

      Als erstes kauft die Geschäftsbank ein paar druckfrisch emittierte Staatsanleihen (Bilanzverlängerung) und geht damit zur Notenbank. Erst ab diesem Zeitpunkt ist Liquidität (eigener Währungsraum) vorhanden.

      "Liquiditätsschöpfung ist nur in Ausnahmefällen ein nachgelagerter Prozess. Wie Sie sagen, es muss bereits ein notenbankfähiges Papier vorhanden sein."

      Merken Sie nicht Ihren eigenen Widerspruch?

      "... als Theoretiker (mit richtigen Theorien), aber..."

      Danke für die Blumen. Herr Trappe würde jetzt wohl sagen: Sie finden das Ohmsche Gesetz theoretisch richtig, aber in der Praxis fließt der Strom bei Ihnen anders.

      Ich will es dabei belassen. Ich respektiere Ihre große praktische Erfahrung und will Sie auch gar nicht von irgendwelchen Theorien überzeugen. Falls sich ein interessierter Leser in diese Kommentare verirrt, kann er es ja als Denkanstoß für eigene Überlegungen und Nachforschungen verwenden.

      Freundliche Grüße !

      Löschen
    5. Ich würde es Ihnen gerne auf höflichere Art und Weise sagen, aber ich muss Ihnen sagen, dass Sie mein niedliches Beispiel einer Bankgründung einfach nicht verstanden haben. Ich könnte es Ihnen gerne anhand von T-Konten darstellen, aber nach meiner Trappe-Erfahrung mit T-Konten nehme ich davon Abstand. Denken Sie einfach über Folgendes nach:

      * die Gesellschafter schulden solange das EK, solange sie es nicht einbezahlt haben. Während dieser Zeit besteht auf der Aktivseite eine Forderung gegenüber Gesellschaftern. Schauen Sie sich einfach ein paar Bilanzen an und Sie werden Beispiele finden, weil es immer wieder Fälle gibt, wo Gesellschafter EK noch nicht einbezahlt haben.

      * Sie sagen, dass es zum Zeitpunkt des Systemstarts kein Geld gibt, obwohl Sie bisher standhaft behauptet haben, dass eine Bank Geld schöpfen kann. Da müssen Sie sich jetzt zwischen zwei konträren Argumenten Ihrerseits entscheiden.

      * wenn eine Bank einen Kredit ausbezahlt und dem Konto des Kunden gutschreibt, dann hat sie Einlagen kreiert. Wenn sie den Kredit an die Gesellschafter ausbezahlt und diese damit ihren EK-Einschußpflichten nachkommen, dass hat sie EK kreiert.

      * Liquidität ist für eine Bank in dem Moment vorhanden, in dem vom einbezahlten EK - nach Abzug von Investitionen in Sachanlagen - Liquidität übrig bleibt. Natürlich könnte sie mit dieser Liquidität WP kaufen und sie bei der Notenbank hinterlegen, um von der Notenbank Liquidität zu bekommen. Stellen Sie sich bitte die Frage, warum eine Bank über Umwege von der Notenbank Liquidität holen würde, die sie bereits hat.

      * in weiterer Folge erhöht sich die Liquidität der Bank in dem Maße, in dem Kunden auf ihre Konten von dritter Seite Geld überweisen.

      * nein, in meiner von Ihnen zitierten Aussage ist kein Widerspruch. Man muss sie nur verstehen.

      Löschen
    6. Debitistischer Saldenmechaniker9. Juni 2013 um 02:35

      Also schön, dann will ich Ihnen Ihr "niedliches Beispiel" so reparieren, daß es funktioniert:

      1) Bankgründung mit 100M EK - die Gründer bleiben die Einlage schuldig, daher Forderung gegen Gesellschafter.

      2) Die Gesellschafter leisten an das Ministerium für Wiederaufbau Beratungsleistung. Da fragen Sie am besten Meischberger&Co, wie man das macht.

      3) Der Staat bezahlt mit einem Schuldpapier, wo draufsteht: 100M.

      4) Mit diesem Schuldpapier bezahlen die Gesellschafter die gegen sie bestehende Forderung nach EK-Einlage. (Aktivtausch bei der Bank)

      5) Das alles ohne einen einzigen Tropfen Liquidität.

      6) Sie werden bestimmt ein Argument finden, warum das jetzt nicht gilt.

      Löschen
    7. Es entzieht sich meiner Vorstellungskraft, weshalb Sie eine Diskussion, die gut begonnen hat, auf ein wirklich niedriges Niveau ziehen. Sie können sich gerne auf dem Niveau von Meischberger & Co. bewegen; ich tue es nicht.

      Ich habe Ihnen mit ein paar Buchungen zeigen wollen, wie eine Bank funktioniert. Ich habe es 'niedliches Beispiel' genannt, weil - wie ich klipp und klar gesagt habe - das Beispiel rein der hypothetischen Darstellung dienen sollte, in der Praxis wegen Gesetzeswidrigkeit aber nicht möglich wäre.

      Ich finde es interessant, dass Sie - analog zu Trappe seinerzeit - dann aus einer vernünftigen Diskussion ausrasten, wenn es um konkrete Buchungsvorgänge geht, die Ihre Argumentation entkräften. Und statt sich mit den konkreten Buchungen auseinanderzusetzen, machen Sie aus einem ganz einfachen Beispiel ein relativ sinnloses Geschwätz.

      Es wäre mir schon daran gelegen, dass ich Sie dazu bringen könnte, meine Ausführungen zumindest nachzuvollziehen (= zu verstehen). Deswegen werde ich es jetzt noch einmal versuchen. Im Zweifel fragen Sie bitte Ihren Steuerberater. Er wird Ihnen meine Buchungen bestätigen.

      1. Schritt: Gesellschafter zahlen 100 als EK ein. Am Ende hat die Bank eine Bilanzsumme von 100, bestehend aus 100 Cash auf der Aktivseite, und 100 EK auf der Passivseite.

      2. Schritt: die Bank erwirbt für 30 ein Bankgebäude. Am Ende hat sie eine Bilanzsumme von 100, bestehend aus 70 Cash und 30 Gebäude auf der Aktivseite, und 100 EK auf der Passivseite.

      3. Schritt: die Bank gewährt einem Kunden den ersten Kredit über 100, den sie dem Konto des Kunden gutschreibt. Am Ende hat sie eine Bilanzsumme von 200 (Bilanzverlängerung), bestehend aus 100 Kredit, 70 Cash und 30 Gebäude auf der Aktivseite, und aus 100 Einlagen und 100 EK auf der Passivseite.

      4. Schritt: die Bank gewährt einen weiteren Kredit über 100, den der Kunde auf sein Konto bei einer anderen Bank ausbezahlt haben möchte. Die Bank muss also 100 auf eine andere Bank überseisen, sieht jedoch, dass sie nur 70 Cash hat. Der Bank gelingt es, auf dem interbank Markt einen Kredit aufzunehmen und um ausreichende Liquidität zu haben, nimmt sie gleich 200 auf. Am Ende hat sie eine Bilanzsumme von 400, bestehend aus 200 Krediten, 170 Cash und 30 Gebäude auf der Aktivseite, und 200 Interbankschulden, 100 Einlagen und 100 EK auf der Passivseite.

      Sie sehen, die Bank muss zunächst einmal überhaupt keine notenbankfähigen WP kaufen. Ebenso kann die Bank aus eigener Kraft ihre Bilanz verlängern, wenn der Kredit auf ein Konto im eigenen Haus ausbezahlt wird; nicht aber, wenn er auf ein Konto bei einer anderen Bank ausbezahlt wird. Dann braucht sie einen Dritten (z. B. einen interbank Kreditgeber), der ihr Liquidät zur Verfügung stellt. Von der Notenbank bekommt sie noch keine Liquidität, weil sie - wie gesagt - noch keine notenbankfähige WP hat.

      Machen Sie sich bitte nicht wieder die Mühe, mein Beispiel so zu reparieren, dass Sie sich selbst diskreditieren. Wenn Sie wollen, können Sie mir einfach sagen, bei welchem Schritt was nicht stimmt. So einfach!

      Löschen
    8. Debitistischer Saldenmechaniker9. Juni 2013 um 11:06

      Dieses Beispiel (Schritt 1 - 4) ist korrekt und bedarf keiner Reparatur.

      Mit freundlichen Grüßen

      Löschen